Mittwoch, 24. November 2010
+ Ein Job, den ich nicht möchte
im nächsten Leben - falls es eines gibt: Schutzengel meines direkten männlichen Ahns.

Dass ein Klumpen von der Größe Kanadas sich direkt unterhalb des Knies verheddert und man dann noch mit barbarischen Schmerzen 2 Tage arbeiten geht, obwohl man den Kupplungshebel nicht mehr durchdrücken kann und auf den Automatik umsteigt - um arbeiten gehen zu können - und dass man seine Jüngste nicht anruft, weil man genau weiß, wie die einen mit der Peitsche zum Arzt treiben würde und dass man dann mit ein wenig guter Medizin davonkommt, nochmal, und das Bein behält - das ist alles nicht die Regel. Der Klumpen - an anderer Stelle - hätte Hirn oder Herz oder beides beendet. Und zwar nicht geschätzt, sondern definitiv. Dass dieser Warnschuss vermutlich wieder nicht ankommen wird, stimmt mich - beim Packen - unendlich traurig. Um mal Rilke zu bemühen: Alles dazu hört bei mir im Herzen auf zu sein.

(Und nein, danke - ich wusste schon vorher, woher ich meine prostestantische Arbeitseinstellung habe. Keine Beweise mehr nötig.)



Donnerstag, 11. November 2010
+ Ich hatte
auf die "neun" gehofft, gewettet und gewartet.

Und es ist gut. Und trotzdem: Es zerreißt einen.

3.11. 17:03

C. am Telefon: “Lebensunfähig, träge, dachte vorhin, ich geb alle Ziele auf, die ich habe, bis mir einfiel, ich hab ja gar keine.”

Bekomme jeden Tag Briefe und Karten, die ich nicht mehr beantworten kann. Grüße an dieser Stelle.


Und es gibt keinen Trost. Nur Menschen. Und das, was wir hatten und haben. Finden wir uns damit ab.



+ 91
ist ein schönes Alter.
Trotzdem macht es mich ein bisschen traurig; jetzt ist wieder einer weniger da, einer, der viel Quatsch produziert hat, aber auch (auf eine Art zumindest) den Wert von meinen Lieblingsfilmen "La strada" und "Blue velvet" erkannt hat.

Gute Reise Dino.



Montag, 25. Oktober 2010
+ Unmöglich,
Wolfgang Herrndorfers Blog in einem Zug zu lesen, anschließend etwas schreiben zu wollen: darüber, auch über sich selbst, relativierend die eigenen, kleinen momentanen Befindlichkeiten durchkauend. Unmöglich.

Vielleicht - nicht in einem Zug. Aber lesen Sie es. Entgegen ander "Leseempfehlungen" habe ich das Archiv über die Rückblenden und dann Nummern gelesen. Vielleicht ist es auch einerlei.

Ich werde jetzt ein Glas Wein auf ihn erheben und nichts mehr schreiben.



Freitag, 24. September 2010
+ Manchmal
stehe ich mir emotional dermaßen selbst im Weg, dass es schwer auszuhalten ist. Wie ja die eigene Dummheit an sich in jedweder Lebenslage eines der am schwersten zu ertragenden Eigenübel ist.



Donnerstag, 22. Juli 2010
+ Werden wir?
Es erkennen? Wenn es da ist? Werden wir das richtige Gefühl einräumen, die Zweifel ausräumen, alles Intellektuelle darüber vergessen können?

Wird es ein freudiges "Hallo - da bist du ja endlich - lange nicht gesehen" oder ein "Ist es das jetzt?" - sein?

Wir bilden uns ein zu wissen, was Glück ist oder nicht, wir streben danach und stellen es oft auf Platz Nummer 1 der Liste, was wir ersehnen und erhoffen. Was ist, wenn es ist?

Wie viel ertragen wir - der Mensch? Bevor Zweifel, Gedanken und schlechte Gefühle es klein reden, negieren, nicht mehr wahr nehmen?

Glücklich ist, wer glücklich sein will, sagt die Sozialwissenschaft. So einfach. Ich möchte hinzufügen: Und wer sich selbst für wert befindet, es zu sein. Und wer glauben kann. Und Gedanken negieren, die davon erzählen, dass es ja nicht mehr sein wird - irgendwann.

Ich will glücklich sein. Und machen. Dazu gehört, es sich bewusst zu machen, immer, immer wieder. Wir vergessen so leicht, zu leicht. Wir sind so wenig dafür geschaffen, glücklich zu sein.




Freitag, 28. Mai 2010
+
Meistens sind es Dinge.
Oft ist es das Buch. Viel seltener, aber zugleich verstörender: Wenn es Menschen sind. Oder Lebewesen.
Zum Beispiel die Katze (oder der Kater?).
Es ist kein Verlust. Es gibt kein Wort dafür, was es ist; am ehesten könnte man sagen: Es ist die Manifestation von Abwesenheit in einem Gefühl.
Man weiß, etwas müsste da sein, alle Anzeichen sprechen dafür, dass es da ist, man kann es aber trotz quälend intensiver Suche nicht finden. Kein Verlust - Abwesenheit. Schlichtes nicht-da-sein, trotz des Wissens, dass es anders sein muss. Quälend, verstörend, schuldbeladen.
Die Schuld ist in und nach diesen Träumen übergroß, sie frisst sich fest.
Es ist nicht da, weil du es vergessen hast.

Auch unter der Maßgabe (und dem Wissen), dass es gar nicht möglich ist, ein so wichtiges Ding, ein Tier, ein Kind, einen Partner zu vergessen und damit seine Abwesenheit zu bewirken, ist das Gefühl, schuldig zu sein, übermächtig. Es ist nicht da, weil du nicht aufgepasst hast, weil du vergessen hast.

Das Buch. Das Buch, in dem alles stünde, was ich wissen und verstehen und erkennen wollte. Ein Abdruck davon auf dem Schreibtisch, eine Lücke im Buchregal, wo es stand.

Die Katze: Ein Futter- und ein Wasserschüsselchen in der Küche, eine Katzentoilette neben meiner.

Das Kind - alle Menschen fragen mich nach dem Kind. Welches Kind? Ich weiß es, aber ich komme nicht an dieses Wissen.

Der Mann, mit dem ich eben noch sprach, die Worte im Ohr, den Geruch in der Nase. Seine Sachen in der Wohnung, der Abdruck seiner Haut auf meiner.

Sie alle sind abwesend, abwechselnd. Weil ich vergesse.

Ein Traumanalytiker hätte vielleicht seine helle Freude an mir und diesen (kaum verschlüsselten?) Träumen. Mir machen sie Angst.

Wenn ich, wie heute, nach einem sehr anstrengenden Tag im Lesesessel kurz wegnicke, ist es noch schlimmer: Plastisch, nah und von dem Wissen umhüllt, dass ich träume. Und wie irrational das eigentlich ist. Dass ich Menschen nicht vergesse, kein Tier und kein wichtiges Ding vergäße.

Gegen das herzzerfetzende Schuldgefühl vermag das Wissen nichts auszurichten. Ich weiß nicht, ob ich wissen will, was diese Träume bedeuten.




Donnerstag, 13. Mai 2010
+
Auf dem Herd kocht Stunde um Stunde eine liebevoll bereitete riesige Menge Bolognese nach dem weltbesten und allergeheimsten Originalrezept (davon gibt es ja so viele, wie es italienische Mamas gibt, aber die, von der ich es hab, ist die beste von allen), aus den Lautsprechern tropft sanft wie feinstes Olivenöl Gianmaria Testa, der singende Bahnhofsvorsteher - nach eigener Aussage ist seine Sprache von der Expressivität der Gedichte Giuseppe Ungarettis und den Skulpturen Alberto Giacomettis geprägt, also bitte - so geht es doch.
Mein Liebesbärchenorakel sagt, ich wäre die Liebe, sehr viel besser kann dieser Tag also eigentlich nicht mehr werden. Wird er aber. Nicht nur Dank der liebevollen Aufmunterungsversuche und Durchhalteparolen diverser feiner Menschen. Es wird ja alles, irgendwann bestimmt.

Vielleicht habe ich es auch falsch angelegt; möglicherweise sollte ich in die Emilia-Romagna ziehen - mir von einem sanften Bahnhofsvorsteher sechs Kinder machen lassen und stundenlang jeden Tag für die Meute Köstlichkeiten am Herd zaubern. An Samstagen fahren wir dann nach Ravenna und bestaunen frühchristliche und byzantinische Mosaike, dann gibt es auf der Piazza del Popolo richtiges Eis für alle und auf dem Heimweg schläft die Hälfte der Mannschaft.
Und abends, wenn die Sonne dann tief durch die Pinien scheint, sitzen wir im Garten, in dem es nach Kräutern duftet; der Barolo hinterlässt samtige Schlieren im Glas und vielleicht singt er dann. Leise, nur für mich.

Wenn die Nacht
am Verblassen ist
im frühen Frühjahr
und nur selten
einer vorbeigeht

verdichtet sich über Paris
eine dunkle Färbung
von Klagen

In einem Winkel der Brücke
schau ich
dem grenzenlosen Schweigen
eines zarten Mädchens
nach

Unsere Leiden
sind
eins

und wie fortgetragen
bleiben wir.

[Gianmaria Testa: "Come di pioggia" | Giuseppe Ungaretti: "Nostalgica", 28.09.1916]




Mittwoch, 21. April 2010
+
Manchmal fragt man sich. Ob man es noch kann. Und dann, ob man es sollte, wenn ein ja plötzlich da steht, mehr nicht. Und wie oft man es kann, auch.

Langsam, leicht, mild, ruhig, sachte, sanft, vorsichtig. Wäre ich gern. Bin ich. Manchmal. Wenn es still wird und nur Rauschen ist, Gedanken, Gefühle, Seele. Das leise Schaben eines Messers, in eigener oder fremder Hand, das Geräusch der abfallenden kleinen Bröckchen, innen, außen.
Wir werden nackt sein, am Anfang, am Ende. Wir leben, um zwischendurch zu schaben, bis zur Schicht, die frisch noch ist und lebt. Sachte dann und weiter. Bis innen außen ist. Wenn der Mut reicht.

Ich kann nichts unternehmen, wenn ich nicht von dem, was ich weiß, absehe. Sobald ich es ins Auge fasse und daran denke, sei es auch nur eine Sekunde, verliere ich den Mut, löse ich mich auf.

[Emile Michel Cioran | Die verfehlte Schöpfung]



Sonntag, 11. April 2010
+
Immer wieder, immer noch einmal und immer weiter, bis es sich festgefressen hat: Man muss sich freuen (können und wollen). Über kleine Dinge. Über Nicht-Selbstverständliches. Über Nächte, in denen eine alte Mauer Geschichten wispert im Dunkeln. Über ein Lächeln beim Lesen einer Widmung. Und über die Dinge, die nicht klein, sondern manchmal die Welt sind, in solchen Momenten: Menschen, Vertrauen.

Wenn man dann um halb sechs Uhr morgens zwischen denen steht, die die Nacht übrig ließ und erfüllt von den Dingen einen Bahnsteig hinabläuft und wieder rauf, dann kann man es merken. Wie die Freude ein sanftes Luftpolster unter den Füßen ausbreitet, wie leicht der Schritt, wenn nicht auf dem Boden. Die Skeptiker wenden ein, dass man nicht schwebt, sondern übermüdet ist.

Ich sage:
Wer das nicht kann, sich nicht freuen kann, einfach so, ohne morgen, gestern und nur hier und jetzt, wird nie schweben, sondern immer nur übermüdet durch diese Welt gehen.