Mittwoch, 5. Mai 2010
+ Selbsterkenntnisse. Nicht neu.
Ich bin eine Katastrophe. Wie man es dreht oder wendet ist egal.
"Nicht normal", sagen vorsichtig empathisch die einen, denen man sich endlich anvertraut. "Strange" schreibt ein anderer Mensch, wo man es vorsichtig fragmentarisch auch tut.

"Eine (menschliche) Katastrophe", sag ich.

Da hilft es nichts, dass dieselben Menschen einem unglaubhaft kaum glaubhaft versichern, man wäre ein guter Mensch.
Selbst wenn - "Nur gut sein, reicht nicht", schrieb ich dem Schnuckelchen, dass schon lange nicht mehr so heißt, weil man sich mittlerweile (ein wenig bis mehr) kennt, und ja - was zurückkam stimmt eben haargenau: "Manchmal könnte es reichen. Aber nicht immer."

Heute, gestern und morgen sind nicht immer. C'est ca.




Mittwoch, 21. April 2010
+
Immer wieder darauf zurück geworfen werden. Dass es nicht geht, dass man es nicht kann. Dass man immer noch nur nachahmt. Mechanismen, feine Strukturen, innere und äußere Vorgänge erkennt, sich einen Reim darauf macht - so macht man das - es dann versucht. Es funktioniert nicht; etwas fehlt, der Mechanismus setzt sich nicht in Gang ohne dieses Ding, dieses Modul, das ich nicht kenne, nicht benennen kann und das mir fehlt, so lange schon.

Lebensuntüchtig, streng genommen vielleicht sogar schon an der Grenze zu gehört entmündigt. Es gehört so viel mehr dazu zu leben, als nur zu lieben, zu fühlen und zu denken und zu atmen.

Woher man das andere nimmt, findet, steht nirgendwo. Stände es, ich würde jedes Buch lesen, jede Seite umblättern, langsam - bis ich es fände.

Das menschliche Leben beginnt jenseits der Verzweiflung, schrieb der große, kleine Mann mit dem trägen Auge. Was aber, was, wenn die Verzweiflung begründet ist in einem elementaren, persistierenden Gefühl des Nichtlebens, des nur so tun als ob?
Die Psychologie nach Erikson erklärt u. A., dass ein früh gestörtes oder später zerstörtes Urvertrauen die Ursache für Misstrauen, Bindungsangst und viele, viele andere Auffälligkeiten ist. Und eben auch nur für das Gefühl, nicht in diese Welt zu gehören, nicht willkommen zu sein; eine Störung der Selbstwirksamkeitserwartung auch. (Linksammlung dazu: Hier.)

Heer über Hegel:

Es ist Selbstvertrauen des denkenden und des glaubenden Menschen, ist Seinsvertrauen, ist ein Wissen und Glauben, daß im Abgrund des Seins und der Schöpfung, dort, wo „Gut“ und „Böse“, Bitteres und Süßes, wo Freude und Schmerz, Leben und Tod noch miteinander und ineinander hausen, alles gut ist. Tutte le cose son buone, alle Dinge sind gut, sagt der Italiener. Whatever is, is right, was immer ist, ist recht und richtig, sagt der Engländer („Was vernünftig ist, ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig“, wir werden uns mit diesem berühmten vielumstrittenen Bekenntnissatz Hegels aus der Vorrede zu den „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ noch zu befassen haben, hier aber ist seine letzte mentale Grundlage). Deus impar gaudet, Gott hat Freude am Ungeraden, sagt der Lateiner. Beeten scheev hot Got leev, ein bißchen schief hat Gott lieb, sagt der Schleswig-Holsteiner. Gott schreibt gerade auf krummen Linien, bekennt der Osten, der Araber, der Portugiese im gleichlautenden Spruchwort. „Mir kann nix g’schehn“, sagt der Steinklopfer Hans bei dem Wiener Volksdichter Anzengruber. Die Mystiker sehr verschiedener Kulturkreise und Religionen bekennen dieses archaische Identitätsbewußtsein, mit dem sich wissenschaftlich in unserer Zeit im deutschen Raume befaßt haben Eduard Spranger [...] und der Historiker Otto Brunner [...]. Dieses Urvertrauen in einen letzten guten Sinn aller Dinge, aller Geschehnisse wurde von den Frauen und Männern vieler Geschlechter und Generationen seit grauen Vorzeiten bezeugt nicht in Rede und Schreibe, wohl aber in einem Austragen und Ertragen von scheinbar unüberwindlichen Gegensätzen, Unterschieden und Widersprüchen. [...] Alles Leben verlief in Krisen: Geburt, Tod, Feste, Kriege, Ernte und Mißernte, Plünderung, Krankheit, Überfall, Hunger, Freude: bestanden wollte dieses widerspruchsreiche Leben werden, ertragen, ausgetragen wie ein Kind, nüchtern, in einer harten Liebe.

Ich vertraue den Menschen. Dem Leben. Meinethalben auch einem Schicksal oder Gott. Ich misstraue nicht euch. Sondern mir.
(Dass Vertrauensseligkeit von einigen Wissenschaftlern als Kompensation für mangelndes Urvertrauen angesehen wird, unterminiert manchmal jede meiner Wahrnehmungen. Und ist ein Grund, sich noch weniger zu vertrauen. Traurig, aber wahr.)


[Jean-Paul Sartre: Die Fliegen | Friedrich Heer: Hegel, der Philosoph des siebenten Tages]




Samstag, 3. April 2010
+ Manches
ist nicht bunt. Es scheint schwarz-weiß oder grauschattiert; man muss sehr genau hinsehen, um zu erkennen, dass es durchbrochen ist, dass Licht und Schatten die Form bestimmen und das Sein. Und das geht nur aus der nächsten Nähe.


Ich wünsche einen schönen Tag, bunt, geringelt oder lichtdurchbrochen.

There is a crack, a crack in everything
That's how the light gets in





Freitag, 2. April 2010
+
Nach einem sehr schönen, ruhigen, der langen Nacht angemessen verbrachten Tag, mit viel Sonnenschein auf der Nase und auf den Ohren, freute es einen, wenn man passend schöne Nachrichten in seinem Briefkasten fände.

9 Worte, die letzten 3 heißen odi et amo und ich merke, wie wenig es dann doch braucht, die gute Stimmung zu zerquetschen, mit Worten. Das hat es nicht gebraucht und nein, ich werde jetzt nicht Orff anmachen.

Ich lasse jetzt diese, diese, diese und diverse andere Scheiben sich drehen und versuche das Gefühl des heutiges Tages wiederzufinden. Vielleicht ist es gar nicht tot, nur versteckt. Und dann geht's raus, vielleicht hängt am Himmel ein halber Mond, für die Beladenen.

[Wenn Sie auch so ein bisschen, wie ich auf Jazz, Soul, Funk und Motown stehen, sei Ihnen der user fastflyer2007 an sich hiermit anbefohlen; 120 feinste Platten von einem Londoner Ex-DJ, das ist schon ne Party.]




Sonntag, 14. März 2010
+
Wie man sich machmal innerlich krümmt, weil man das kurze Gefühl hat, in der Mitte durchzubrechen. Kein Zusammenbrechen, nein, ein kurzer, scharfer Schmerz, Seelenäquivalent zum Rücken. Und wie man dann langsam den Rücken wieder durchstreckt, vorsichtig ein paar Schritte tut, bis es von selbst und wieder rund läuft.

Als wäre da ein großes, hässliches Tier in mir, dass immer nur darauf wartet, mal kurz seine Pranken in meine Seite zu schlagen. Und immer wieder leises Erschrecken, wie wenig es manchmal braucht, wie nichtig die Anlässe, wie klein die Dinge, die das Tier hervorstürzen lassen. Und nein, das bricht einen Rücken nicht, gerade gehen wollen wir und uns halten.

Manchmal denke ich, ich bin zu dicht an mir dran. Nackt. Zu ungefiltert rauscht da manchmal alles durch die Räume. Vielleicht muss ich ein paar von den Schutzmauern wieder aufbauen, die ich so mühsam abtrug.

Und das Erstaunen der Menschen manchmal, wenn man sie ganz dicht in die Nähe lässt, die einen immer stark wähnen. Wer ist das denn? Am stärksten und am dauerhaftesten bin mit jemandem und für jemandem, trotz oder gerade wegen der Unverhülltheit. Mit mir bin ich immer nur nackt in diesen Räumen.