Dienstag, 27. April 2010
+ Heimwegserkenntnisse
Ich kenne die Menschen, die meine Morgen- und Abendzüge des regulären Turnus teilen besser als meine Nachbarn. Von denen kenne ich nur die Frequenz der Beischlafgewohnheiten, Streits und Disco-Besuche.

Der junge Mann in blauer Retrotrainingsjacke, der in P. studiert offensichtlich, hetzt in meinen Spätschichtwochen immer mit mir zur selben U-Bahn, die uns dann in den Zug verfrachtet. Heute waren wir beide so spät, dass wir regelrecht flitzen mussten und uns dann etwas erleichtert auf dem Bahnsteig angrinsten.

Die Frau, die abends auch immer in den letzten Wagon steigt, weil man dann gleich am Ausgang ist und die ich nur sehe, wenn ich absolut pünktlich Feierabend mache. Die in die gleiche Straße biegt wie ich, allerdings nur, wenn ich vorher mit ihr beim Edeka einkehre; Mann, zwei Kinder, unterschiedlichen Alters, ist meine Analyse nach Einkäufen. Meine sind schwerer: Lactosefreie Milch, viermal Buttermilch, Bier.

Der schlaksige, große Mann mit den graublonden, kurzen Locken, der mich morgens mal sehr erschreckt hat, weil ich ihn mit einem mir nur entfernt bekannten Menschen verwechselte, wohnt irgendwo in Richtung Steglitz, steht in meinen Spätschichtwochen morgens immer im ersten U-Bahnabteil, sitzt nie, arbeitet in der Nähe vom Zoo und offensichtlich manchmal länger; heute teilte er auch meine abendliche U-Bahn. Nachdem ich doch immer kurz zusammenzucke, wenn ich ihn sehe, ob der Ähnlichkeit, war ich heut Abend, nachdem auch er mich mit diesem Dich kenne ich doch Blick ansah, versucht, ihn anzusprechen. Aber warum? Und wie? Sie sehen sehr aus wie ein mir nur von Bildern bekannter Blogger? Toller Satz, dochdoch. Die Millisekunde, die wir großen Menschen - ich heute 1,87m, er mindestens 1,95m, mit jeweils sehr langen Beinen - brauchten, um aneinender vorbei zu gehen, hätte auch nicht gelangt.

Ein Nachbar, den ich noch nie gesehen habe, kam heute hinter mir ins Haus.



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Heute ist mal wieder Liebe statt Drogen im Schokoladen, zu Gast ist LSD-Ehrenmitglied auf Lebenszeit Volker Strübing vom Schnipselfriedhof. Wenn Sie grad in Mitte sind, Lust und Zeit usw., dann also ... vielleicht schafft es das Fräulein ja auch mal.

Nachtrag: Das Fräulein hat die 7 km quer durch die Stadt dank Radel geschafft (Und wo waren Sie denn wieder?), es war voll, die Stimmung toll und die Jungs von LsD lasen nicht nur hochfeine, amüsante Texte, sondern sind auch so privat alle unsagbar nett. Und: Volker Strübing kann nicht so sehr gut singen, gab sich aber Mühe und hat die niedlichsten Grübchen diesseits der Elbe.




Dienstag, 27. April 2010
+ Unzusammenhängendes. Triviales. Wichtiges.
Wenn dieses Ding kein Fernglas, sondern eine tatsächliche Brille sein wird, möchte ich das bitte umgehend haben. Eine Brille, die Kunst (oder Lieblingszitate, Fotografien) auf erkannte Werbeflächen projeziert? Großartig. Ich bin ja kein schöne neue Welt Jünger, sondern geborener Skeptiker, aber das: Ja.

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Der Status der bald-wieder-Tante hat sich recht schnell heute Abend in den Status ganz, ganz-bald-wieder-Tante verändert. Ein wenig Sorge, Freude und Spannung; ich hoffe, ich kann schlafen. Nötig wäre es.
26.04.2010, 21 Uhr. Hallo Juri! Hier ist es schön, du wirst sehen. Ich bin die verrückte Tante, die dir furchtbar viele Bücher schenken und vorlesen wird. Freude.

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Man sollte als großgewachsener Mensch mit schwerer Arbeitstasche nicht versuchen, bei jemandem auf der Stange mitzufahren um schneller voranzukommen wie weiland. Das führt zu Abschürfungen der zarten Haut, blauen Flecken an schlecht befleischten Stellen und schneller ist man dann sicher nicht mehr.

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Wärme. Sonne. Menschen. Haut. Lachen. Muss mehr.

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Immer noch schwer die Balance zu finden zwischen viel zu viel Arbeit und dem schnell sich unterfordert fühlen. Im Moment ist es einfach nur zu viel.

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Blankets - rechts in der Bücherliste: Noch nicht nicht mehr neben dem Bett, aber schon ein Schwersttipp. Jahre nach Erscheinen durch eine freundliche Leihgabe nun auch in meine Hände gelangt, war ich schon nach wenigen Seiten schwer verliebt. Figuren, Geschichte, Zeichnungen, alles. Unglaublich zart und schön. Und manche Sätze wie kleine schimmernde Tropfen, die einem sanft durch's Gemüt und die Seele rinnen.

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Ohrwurm schon seit gestern. Manche Menschen fehlen sehr und mehr. Selbst nach Jahren.




Freitag, 23. April 2010
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Manches, was aussah wie Gold, zerfällt in der Nacht zu Staubteilchen, die nur freundlich beschienen glitzerten.

„Ich mag Enttäuschungen“, sagte jemand vor sehr langer Zeit zu mir, (wer war es noch?), „das Ende der Täuschung.“

Manchmal möchte ich flüstern: Tut das nicht. Nicht, wenn ihr es nicht meint und wenn es nichts bedeutet. Sagt nichts, versprecht nichts und gebt schon gar nicht euer Wort. Nicht, wenn es an Bedingungen geknüpft ist. Ihr werdet die enttäuschen, die dieses Spiel nicht so gut spielen und vertrauen, auf Worte auch. Und die schwer verletzen, die keine Rüstung tragen. Und am Ende ist es ein gebrochenes Wort, auch wenn es nichts bedeutete. Das ist es nicht wert. Dann wollen wir uns lieber nichts mehr sagen. Auch, weil Worte Waffen sind, immer.
Aber ich flüstere nicht mehr, es versteht ja keiner, wenn man leise ist.


Keine Kryptik, keine Erkenntnisse. Außer: Ich finde es unendlich traurig, wenn mir morgens im Sonnenschein jemand in die nachtrotgeweinten Augen schaut und mich dann anlächelt.




Mittwoch, 21. April 2010
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Manchmal fragt man sich. Ob man es noch kann. Und dann, ob man es sollte, wenn ein ja plötzlich da steht, mehr nicht. Und wie oft man es kann, auch.

Langsam, leicht, mild, ruhig, sachte, sanft, vorsichtig. Wäre ich gern. Bin ich. Manchmal. Wenn es still wird und nur Rauschen ist, Gedanken, Gefühle, Seele. Das leise Schaben eines Messers, in eigener oder fremder Hand, das Geräusch der abfallenden kleinen Bröckchen, innen, außen.
Wir werden nackt sein, am Anfang, am Ende. Wir leben, um zwischendurch zu schaben, bis zur Schicht, die frisch noch ist und lebt. Sachte dann und weiter. Bis innen außen ist. Wenn der Mut reicht.

Ich kann nichts unternehmen, wenn ich nicht von dem, was ich weiß, absehe. Sobald ich es ins Auge fasse und daran denke, sei es auch nur eine Sekunde, verliere ich den Mut, löse ich mich auf.

[Emile Michel Cioran | Die verfehlte Schöpfung]



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Zum Sterben langweilige und ärgerliche Schwall-ins-All Ministerrinnenreden, aber dann: 7 Kurz-, Dokumentar- und Animationsfilme, von denen mir 3 richtig gut gefallen und 2 mich sogar zum Weinen gebracht haben - die Sehsüchte lohnen sich. In jedem Fall. 141 von 1300 eingereichten Filmen aus 66 Ländern. Bis Sonntag, da werden dann alle Gewinnerfilme noch einmal gezeigt.
Wenn Sie es irgendwie nach Potsdam schaffen die nächsten Tage, sollten Sie das tun.

Der Mensch muß entweder wie ein Kind vor Wut und Unglück und Begeisterung und Liebe heulen und entschlägt sich so seines Gefühls in einem kurzen, nichtigen Wirbel; oder er kann geheimnisvoll an sich halten, ohne dem Zug zur Wirklichkeit, dem Trieb, dem mit jedem Gefühl verwachsenen Begehren ein Zugeständnis zu machen, und dann wächst sein Gefühl über ihm mit den Wipfeln der Bäume, mit den Turmspitzen, mit dem Scheitel des Himmels zusammen. Was aber dazwischen liegt, dieser maßvolle sogenannte Reichtum des Gefühls, lohnt nicht des Aufhebens, das davon gemacht wird!

[Robert Musil | Der Mann ohne Eigenschaften]



Montag, 19. April 2010
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Wochenende-Substantive:

Sonne, Menschen, Photographie, Mitte, Lachen, Briefe, Haut, Freude, Kitsch, Wärme, Kennenlernen, Nähe, Wedding, Bücher, Blogger, Worte, Atmen, Nacht-zu-Morgen, Sehnsucht, Verstehen, Ahnung.