+ Fehlende Bücher. Ein weißglühendes, kaltlächelndes Fräulein L. Und Bloggen 0.0

+ Prolog:
Das Fräulein L. ist - das müssen Sie mir, da Sie mich ja nicht so kennen, einfach mal glauben - vom Stamme der sanften Lämmchen. Ein friedfertiges Wesen, das keinen Streit sucht und anderen bei deren Schlichtung hilft. In Familienkreisen werde ich gern als Mediator eingesetzt, wegen meiner Fähigkeit, alle Seiten gleichberechtigt zu betrachten, tolerant und verständnisvoll zu sein und im Zweifelsfall die Worte zu sprechen:

Jetzt ist aber mal Schlumilu1! Ab in die Ecke! Alle beide! In verschiedene Ecken! Und ihr kommt erst wieder raus, wenn ihr einseht, wie bekloppt es ist, sich wegen derlei Kleinigkeiten zu streiten!

Das funktioniert meistens erstaunlich gut; die so unterstützten Parteien nähern sich an, fallen sich wieder in die Arme, wollen sich umgehend miteinander fortpflanzen usw. In meinem Laufrad dulde ich kein Gezicke neben mir habe ich ebenfalls einen legendären Ruf, zwischen sich annervenden Kollegen zu vermitteln, mittels magischer, zarter Worte:

Wenn jetzt hier nicht bald Schluss ist und ihr richtig miteinander redet, hol ich den Abreiß-Abmahnblock. Verdammter Kindergarten!

Zudem bringt mich so schnell mal gar nichts in Rage, um mich richtig wütend zu machen, braucht es viel, sehr viel.
Das schicke ich jetzt nur mal voraus, damit Sie sich ein präzises Bild meines menschenfreundlichen, sanften Wesens machen können.

+ Dieser Teil zwischen Prolog und Epilog, der/die/das Log also:

Wenn man wie ich, morgens eher unausgeschlafen und hypokoffeinetisch ist und nur per Autopilot seine Bahnen zieht, wenn man zudem reichlich ein klitzekleines bisschen zu spät dran ist, weil man das Weckerklingeln kopftechnisch nicht vertaktet hat mit:
Ah, Wecker. Aufstehen., sondern mit Boah, Wecker. Wieso tut datt Ding? Und dann auch noch so nervig? AUES!!! *patsch, dann ist man ein Müh neben der Spur, also ich. Dass ich das GeSchlüTe (Geldbörse/Schlüssel/Telefon) dann nicht vergesse, liegt nur an mehreren, schmerzhaften Erlebnissen, von denen hier keine Rede sein soll.

Und dann saust das Fräulein L. also die Treppen runter, fegt über den Hinterhof und rennt läuft gen U-Bahn. Multitaskisch versucht sie einerseits, die Uhrzeit zu sehen, die Jacke richtig zuzumachen, die Ohrstöpsel in die Ohren zu stöpseln und mit der linken Hand wühlt sie im Arbeitstäschen, ob sie auch die momentan gelesenen Bücher (Schlink: Die Heimkehr | Zafón: Der Schatten des Windes | Curtis: Touching from a Distance (keine Amazonas-Links hier, blöde Werbung das.)) eingesteckt hat - man weiß ja nie, nach welchem einem plötzlich so ist. Und die Hand taucht nach etlichen Sekunden wieder auf: Leer. Fassungslos reißt Fräulein L. die Tasche auf und schaut und schaut, aber in dieser Tasche befinden sich genau null Bücher. In drastischen Zeichen: 0.
(Die beiden Schreibbücher zählen natürlich nciht.)
Das ist mir das letzte Mal mit 5 passiert oder so. Und selbst wenn ich nicht jeden Morgen oder Abend in der Bahn lese, ich bitte Sie, muss man doch die Möglichkeit haben, falls einen spontan die Lust anspringt.
Hektisches Gerechne: Wenn ich jetzt zurückrennelaufe, die Bücher hole und wieder los, dann kriege ich den Zug nicht mehr und dann komme ich wirklich zu spät.

Mistmist. Also buchlos. Damit war ich schlagartig hellwach, bemerkte auch plötzlich den grauen Himmel und den Schneeregen und meine Sonnenschein-Laune trübte sich sehr leicht.

Dann biege ich - wieder schneller werdend - um die Ecke, bemerke auch langsam die Schmierigkeit des Belages und die alte Dame, die es just vor meiner Nase umsäbelt. Noch im Fallen sah ich, dass sie, im Gegensatz zu manchen Bloggern, die ich hier nicht bloßstellen möchte, nicht vorhatte, mit dem Gesicht zu bremsen, sondern ihr Täschchen fliegen ließ, um sich mit den Armen abzufangen. Den Rest der Energie gedachte sie wohl auf ihre knochige Hüfte zu nehmen, es formte sich ein Gedanke, der ausgeschrieben so aussieht: Oh nein! Oberschenkelhalsalarm!, bis Oh, kam ich noch, dann lag sie. Und war natürlich tüchtig geschockt und mehr dann noch, als sie merkte, dass sie nicht mehr hochkam, weil nämlich mit dem rechten Bein gar nichts mehr ging. Ich zückte also folgerichtig das Rufgerät und rief Hilfe herbei, deutlicher Hinweis auf die Art der Symptome und die Verdachtsdiagnose. "Sindse vom Fach oda wie?", fragt der Leitstellenheini. "Ja", sag ich.
"Na denn is ja jut, wa?"

Zehn Minuten später (lassen die sich etxra Zeit, wenn jemand vom Fach da ist?) kommen die Orangenen und ich denke: Prima, kann nicht mal einer vom DRK kommen, müssen das immer diese Vollpfosten sein, das wird doch wieder ein Gezerre mit denen. Aber: Sei lieb, sei Lämmchen, vielleicht sind die Spacken ja kompetent und nett.

Ich lächelte also liebreizend, mache den stiernackigen, stumpfblickenden Idioten Quasi-Ex-Kollegen eine bildschöne Übergabe und wähne mein Karmakonto wieder im grünen Bereich.

Horst 1 geht also folgerichtig zum Auto, macht auf und schickt sich an, den Stuhl raus zu holen. Ich gehe zu ihm und bin noch liebreizender und sage: "Sie transportieren sie aber schon auf der Trage, richtig?"

Der Horst glotzt.
"Weil", sage ich, "sie liegt ja schon, zudem gibt eine glasklare Verdachts-Diagnose, die einen sitzenden Transport ausschließt."

Der Horst glotzt. Und sagt: "Wir müssen doch nur umme Ecke." und nestelt weiter am Tragestuhl. Sanft wie ein Lamm sage ich: "Ich weiß", und weiter zuckersüß: "und ich weiß auch, dass Sie nach einem Transport auf der Trage dieselbe desinfizieren müssen, das dauert. Streng genommen, nicht wahr, müsste diese reizende, alte Dame sogar in einer Vakuummatratze transportiert werden, idealerweise durch Analgetika, verabreicht duch einen Arzt, ihrer Schmerzen entledigt."

Der Horst glotzt. Und sagt: "Eyh, wir fahr die doch in dit nächste Krankenhaus."

Ich denke an mein Karmakonto und mein friedfertiges Wesen, also sage ich nicht: "Hör mal, du beschissenes Exemplar von einer Sumpfmorchel, ich würde dir jetzt gern was brechen und dann ne Weile mit dir spazierenfahren", sondern ich lächele und sage: "Die Frau hat Schmerzen. Liegend geht es. Wenn Sie sie hinsetzen, wird das richtig schlimm, außerdem ist das grob fahrlässig, weil - wenn sie einen OSHB hat, dann kann sie sich gleich noch viel mehr wegholen im Stuhl."

Der Horst glotzt. Und sagt: "Mann, dit sind doch nur paar Meter inne Klinik."

Ich, innerlich: Lämmchen, Lämmchen!, Lämmchen!!!, spüre jedoch zu meinem Leidwesen, dass ich ein fast weißglühendes Lämmchen bin. Karma, Baby, sage ich mir.

Kaltlächelnd trete ich auf 30cm an sein Gesicht heran und sage: Höre, junger Freund
"Jetzt hören Sie mir mal ganz genau zu, junger Mann (den Satz wollte ich schon bringen, seit ich 18 bin), entweder Sie verbringen jetzt diese Frau auf diese Trage und fahren sie so schonend als möglich in ein Krankenhaus oder Sie bekommen auf der Stelle, hier vor Ort, eine Anzeige wegen Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung von der eigens dafür von mir bestellten Polizei, unter Hinzuziehung eines eigens dafür gerufenen Arztes. Sie haben die Wahl."

Der Horst glotzt. Und fragt: "Wie meinen'se ditt denn jetze?"

Horst 2, der die Zeichen des Sturms erkennt und 2,3 Gehirnwendungen mehr hat, sagt:
"Komm Horst, nehmen wir halt die Trage. Ick gloob, die meint dit ernst."

Ich zartes Lämmchen lächle und sage der alten Dame auf Wiedersehen, gute Besserung und nein, nichts zu danken, bedanke mich für die Kooperation bei den Vollspacken Schlauchträgern und setze - endlich meinen Weg fort. Mittlerweile hoffnungslos zu spät für alles, aber friedfertig wie immer und mit einem berstenden Karmakonto. Kommt doch alle, kommt doch.

+ Epilog:
Meine Kollegin, der ich die Geschichte erzählte, fällt vor Lachen fast die Zigarette aus der Hand und vollends durch ist sie dann, als sie mir steckt, dass ich gar nicht zu spät bin, weil die andere Kollegin ja gar nicht da ist, ich also eine Stunde später dran wär, somit sowohl länger hätte schlafen, als auch in Ruhe Kaffee trinken, als auch an meine Bücher hätte denken können.

Ich aber denke: Wenn ich meine Bücher dabeigehabt hätte, könnte ich aber niemals dieses schöne Foto vom Bloggen 0.0 bringen, das Bloggen auf Papier, im Zug. Und mein Karmakonto wär nicht so schön prall.


1 Das wolltest du aus deinem Wortschatz streichen! Aber zackich jetze!



Falls ich jemals hinfalle und mir Knochen breche, hoffe ich sehr, dass Sie zufällig des Weges daherkommen. Und mich notfalls auch vor bequemen Sanitätern retten.

Curtis' Touching from a Distance habe ich übrigens auch aus der Tauschbörse.

Anruf genügt. Für Karma-Punkte und gegen rohe Menschen tu ich fast alles...

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Was heißt hier "bloßstellen"? Sie beschreiben das doch sehr eindringlich, wie vorteilhaft eine elegant ausgeführte Gesichtsbremsung ist.

Jetzt sind Sie ja aber auch noch nicht im klassischen Alter für einen OSHB, hätten das also mit Ihrer jugendlichen Hüfte ohne Bruch abgefangen, obwohl - komm'se mal ran hier, seh ich da etwa ein graues Haar?

Drei links und sieben rechts.

Ah, ich vergaß die hermetische Zählweise.

[Nur zur Info: Auf Ihrem neuen Zählgehilfen (so Sie ihn denn haben wollen) fällt der 37. diesen Monat übrigens nicht auf einen Sonnabend, sondern auf einen Dienstag:



wie ich mich gerade überzeugt habe. Jetzt platzt mein Karmakonto aber bestimmt bald. Ich geh jetzt kleine Tiere quälen.

Kleine Tiere? Sie haben mich ja schon in der Hand. Ein Dienstag also. Aber der März unten petzt.

Psst, das ist eine Empfehlung - also für die anderen. Nicht ernst nehmen so'n Quatsch.

Ah, wie sagt man auf modern, I see!. Der kommuniziert sozusagen auf mehreren Ebenen, das mag ich ja.

Ich bin mal gespannt, was der sagt, wenn ich ihn heut Abend mit nach Hause nehme und neben meine kleine Tageszählerin stelle, die sind ja von einem Stamm, aber: Ob die sich was zu erzählen haben, nach all der Zeit, immerhin geschätzte 80 Jahre?
Wenn ich es heut nach wispern höre, werde ich glücklich sein.

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