Also, wenn Sie
Musikfaschist mit Überzeugung sind, vorhatten, mich zu ehelichen oder beizuschlafen oder auf ein Bier einzuladen, und nur ein kleiner Hauch Hoffnung besteht, dass dieses Ansinnen wohlwollend aufgenommen würde, eher so der
Twitter-Mensch mit einem Horror vor langen Texten sind - eine deutliche Bitte:
Nicht weiterlesen!
Allen anderen ein freundliches
Hallo im investigativen Dunkel, dem Ort, wo Geheimnisse gelüftet,
Höschen Schleier zerrissen und gnadenlose, grell ausleuchtende Wahrheitsliebe herrscht.
Das Fräulein L. ist - das müssen Sie mir, da Sie mich ja nicht so kennen, einfach mal glauben - eine Freundin des Feinen, ein Genussmensch also, auch und besonders, was Musik angeht.
Hauptsächlich hört sie so eher Chartfernes aus den Bereichen Soul, Jazz, Blues, Rock, (Post-)Punk, Indipendent, Alternative und sehr viel Klassik. Auch anderes, diese Kategorien sind ja, nunja.
Aufgewachsen ist sie mit einer bunten Mischung. Gediegene Sachen, die man heute auch besitzt und niemals verstecken würde:
Joan Baez, Bob Dylan, Leonhard Cohen, Neil Diamond, Georges Moustaki, Jaques Brel, Hannes Wader, Léo Ferré, Herman van Veen, Pete Seeger, Glen Campbell und einige andere -
Liedermacher also allesamt, für die sie selbst eine tiefe Liebe pflegt.
Die waren von der tieftraurigen, intellektuellen Mutter in diese seltsame Verbindung eingebracht und - bedingt durch die 10/12 monatige Abwesenheit des Vaters in der Kindheit, auch am häufigsten eingeprägt.
Und dann gab es die
Kassetten. Aufgenommen vom Vater an seinem selbstgewählten Arbeits-Exil, triefend von Kitsch und Sentiment und Selbstmitleid,
Schlagerkassetten.
Meine Mutter, die diesen Mann, der er damals war*, unerklärlicherweise abgöttisch geliebt hat, spielte diese Kassetten
immer, den ganzen Tag hoch und runter, wenn er auf einem seiner seltenen Monatsbesuche war und häufig genug auch dazwischen. Sie war auch nah dem Sentiment, aber manchmal denke ich, seine Gefühle hat sie sich nur über seine kitschige Musik gezogen.
Nachts, wenn alles schläft, solltest du bei mir sein, Sie sind im Bilde. Die Ironie an derlei Texten und der Situation, kann ihm eigentlich nicht entgangen sein, intelligent wie er ist, aber gut.
Als Kind fand man das toll, eingängige Texte, deutsch natürlich, leicht mitzusingen - wenn ich sehe, wieviel Spaß meine kleine Mini-Nichte beim Singen von Kinderliedern hat, ist das klipperklar.
Sie sind auch ein Stück Kindheit, eines der wenigen, da mein gnädiges Gedächtnis mir die meisten Teile sperrt. Und ich hatte diesen Teil auch schon verschütt gewähnt, als mich eines Tages der Ruf meiner großen Schwester ereilte:
Die M. hat Geburtstag, einen großen Runden; wollen wir da neben haufenweisen, reizenden Geschenken nicht auch was ganz Ausgefallenes machen?
Daraufhin wurde beratschlagt, verworfen, also - neudeutsch -
gebrainstormt, bis die Synapsen keuchten und am Ende stand ein verwegener Plan: Wäre es zu schaffen, für die M. diese längst geschredderten Kassetten wieder neu zusammen zu bringen, würden uns also mindestens die runde Zahl des Burzeltages noch an Liedern einfallen?
Und würde ich sie beschaffen können? Alsgleich ging man die Verwirklichung; nach unsrem Überschlagen gab es ca. 150 Lieder auf diesen Kassetten in Summe. Dann traf man sich, die große Schwester, die ja schon damals größer war, erinnerte aus dem Stand schon mal 15-20, die mir nie eingefallen wären; man summte und sang sich einzelne Passagen, Melodien vor, nächtlenag; das Fräulein L. notierte jedes Fitzelchen akribsch, recherchiert tagelang, wälzte Chartlisten deutschen Liedgutes aus 5 Jahrzenten, trieb sich in einschlägigen Foren und Musikkaufstationen herum, denn es gab ein großes, großes Hindernis: Das mussten selbstverständlich
exakt die Versionen sein, die man kannte. Wenn schon, denn schon. Und das war mehr als schwierig, aber nach geraumer Zeit war es vollbracht.
Mehr als 90 hatten wir gefunden, von einigen ließ sich keine Version mehr auftreiben, von manchen nur die falsche, aber die angestrebte Zahl hatten wir trotzdem locker aus dem Stand übersprungen. Das Fräulein L. verwurstete das liebevoll in mühseliger Kleinarbeit in gepresste Formen; mein immerwährender Dank gilt meinen Kollegen, die es klaglos ertrugen, dass ich während dieser Zeit auf Arbeit ständig Schlager summte oder sang. Gut, seitdem gelte ich als
noch seltsamer, aber ich habe intern ja sowieso den Namen
Emily the Strange, außerdem ficht das Fräulein sowas ja nicht an.
Und das war eine Freude und ein Hallo, dafür hat es sich schon gelohnt. Aber um jetzt den dramatisch schwellenden Spannungsbogen mal abzubiegen, also mal zum schlimmen Teil zu kommen: Diese Lieder befinden sich selbstverständlich noch auf meinen Computern und Festplatten, dafür habe ich ja schließlich bezahlt und wer weiß, ob da nicht mal nachgeschossen werden muss. Und jetzt also kommt's,
psssst: Das Fräulein L. hört die. Manchmal, also
sehr manchmal, quasi
rarely, aber eben auch nicht nie. Heimlich über Kopfhörer, damit die Nachbarn es nicht hören, niemals in Gegenwart anderer und immer etwas bestürzt.
Und wenn dann also das Fräulein L, wie gestern an einem bösen Beitrag über die ersten Schuljahre schreibt, dann tippt die Maus quais eigenständig, diese geheime und versteckte Playlist an.
So und jetzt nehmen Sie ne Pille, gehen petzen und denken sich bitte was Unanständiges.
Ich geh derweil mal ein bisschen
gute Musik hören. Auf Zuruf poste ich auch gerne ein Bild dieser Playlist, soweit wollte ich im ersten Enthüllungsdrang nicht gehen.
*pfeifend ab
[*Menschen können sich ändern, sogar, wenn sie schon älter sind - mittlerweile würde ich auch den männlichen Part meines Kindheitsdramas nicht mehr eintauschen.]