Liebe statt Drogen wäre das Motto heute Abend gewesen, aber dort
bin war ich nicht.
Ich laufe unrund und je mehr ich den Finger versuche auf die Unwucht zu legen, desto mehr entgleitet mir das.
Grad ist nichts mehr so richtig schwarz-weiß mit abertausenden Graunuancen, sondern bunt, grell bunt mischen sich die Empfindungen. Und sie wechseln schnell, zu schnell. Ich kenne mich als leidenschaftlichen Menschen, mit extremen inneren Ausschlägen nach oben und unten, der gelernt hat, authentisch zu sein, aber pflegeleicht -
im Mittel also nach außen freundlich, leicht verrückt und nur leicht extrem.
Ich kenne das Gefühl "Hass" nicht , nebst einigen anderen (Erbe einer schaurigen Kindheit, aber das ist eine ganz andere Geschichte), ich habe mir selbst in
unendlich langer Zeit einen Weg - einen Graben durch Sperrgebiet - zu meinen Gefühlen geschaffen. Ich habe mein Innerstes nach außen gestülpt, dann alles zerfetzt und mich wieder zusammengesetzt; ich habe mir im wahrsten Sinne des Wortes das eigene Fell über die Ohren gezogen, aus Leidensdruck und auch - ja, aus Menschenliebe. Ich wollte den mir wichtigen Menschen nicht mehr als das begegnen, was andere aus mir gemacht hatten: beschnitten, verkrüppelt, dauerverfolgt von Dämonen und Ängsten und diffusem Zeug, das keinen Namen kennt.
Ich kenne mich, auch wenn das nicht immer leicht ist.
Und jetzt stelle ich mich ganz leicht nur neben mich und schaue so ein wenig und (er-)kenne vieles nicht.
Stimmungsschwankungen, die ich nur von prä-/post- oder dauermenstruierenden Damen kenne, nein, keine
Unlust, kein
Schlechtgelauntsein;
schwankend bemüht taumele ich zwischen
strahlend-sonnig, heiter: begeistert, beglückt, innerlich tanzend, still vergnügt und leidenschaftlich träumend, berstend vor Liebe und Zuneigung bis
Sturm-zieht-auf oder peitscht über das Land: Verlorenheitsgefühle, ein Zerren und Reißen unbekannter Genese, ein unbändiges Sehnen, eine Trauer, die mich unvermittelt überfällt und die ich nicht verorten kann, eine große
Unruhe, quasi in nichts begründet.
Und doch ja, das alles kenne ich - aber nicht in diesem rasend schnellen Wechsel, als lebten mein Seelchen und mein Herz sich gerade aus, probten Bocksprünge und Salto rückwärts und das immer nur schnell, schnell. Als könnten sie etwas verpassen, von den großen Gefühlen, den Spitzen, den Tiefen. Oder als hätten sie etwas verpasst und holten das nach.
Und nach einer freundlichen Kompassnadel in Form eines längeren Gespräches mit einem lieben Menschen, der unvermittelt anruft, wird es klarer:
Ja, warum nicht? Vielleicht habe ich ein bisschen zu lange auf Sparflamme gelebt und gefühlt, vielleicht ist das jetzt ein
inneres Austoben, ein Bocksprünge machen und vielleicht sollte ich auch mir selbst gegenüber gelassener werden.
Mehr verzeihen, was man ohne Bedenken bei anderen Menschen tut, weil man um Seelchen, Nöte und Geschichte weiß und liebt. "Das muss jetzt vielleicht
geradeso. Aushalten.", spricht der liebe Mensch und hat - in der Schlichtheit wahrscheinlich Recht.
Sich wohlwollend gegenüberstehen, auch wenn man sich selbst grad anstrengt.
Und Mühes Lebensregel nicht aus den Augen verlieren, die man - still - zum Credo gemacht hat:
An allen Früchten unbedenklich lecken;
vor Gott und Teufel nie die Waffen strecken;
Künftiges mißachten, Früheres nicht bereuen;
den Augenblick nicht deuten und nicht scheuen;
dem Leben zuschaun; andrer Glück nicht neiden;
stets Spielkind sein, neugierig noch im Leiden;
am eigenen Schicksal unbeteiligt sein –
das heißt genießen und geheiligt sein.
Selbsterinnerung: Positiv denken.
Nicht kirre machen lassen. Einatmen - ausatmen.
There is a crack, a crack in everything
That's how the light gets in.
[Leonhard Cohen: Anthem]
Sonnenschein, Wasser, Möwen, ein feiner, frischer Kaffee, ein Käsebrot und eine schöne Aussicht: Erster Vorhang meines neuen Dramoletts:
"Mes pauses-repas sont plus belles que vos jours."
Und über Käsebrot und Kaffee gelugt, ahnt man auch, wie schön das erst wieder im Frühling-Sommer-Herbst werden wird.
Meine Mutter bärmelte jetzt:
Mausi Kind, nicht auf die kalten Steine setzen!, ich aber sage:
Pah! Lieber ein heißes Herz und ein eisekalter Stein, als umgekehrt!
Ganz kurz festgehalten:
Die kleine, zarte Frau, die mich schonmal verzaubert hat, spielt wieder in Berlin.
Jesy Fortino, alias
Tiny Vipers.
Wer minimalistischen Folk und langsame Zärtlichkeit (wahlweise auch andersherum) mag, sollte sich morgen Abend in die
Sophiensäle nach Mitte begeben.
Lieblingsband Joy Division, Lieblingsautor Murakami, erzählt sie
hier . Immerhin 1 von 2.