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Ich rätsele immer noch, wie alt meine
Kaiser Idell wohl ist. Mittlerweile gibt es die ja wieder in
diversen, betörend schönen Varianten, dafür hat meine echte Patina und jede Menge Abrieb an den richtigen Stellen, eine Arbeitslampe halt.
Unterm Sockel klebt ein vergilbter Mini-Aufkleber, auf dem handschriftlich (in fast schon Sütterlin) vermerkt ist:
Gekauft am 19.12.1960.
Aber, möchte man dem Käufer zuflüstern:
War sie da neu oder gebraucht? Das Modell, dass ich hier habe, sah ich nämlich nirgends wieder. Meine hat keinen lässigen, geschwungenen Griff, sondern einen fast geraden, mit einem langen Holzstück in der Mitte.
(Um hier ein Bild zu posten, müsste ich jetzt meinen Schreibtisch um- und aufräumen, das ist aus Gründen jetzt nicht drin. Zuviel Arbeitskram.) Wenn also jemand eine Seite weiß, wo vielleicht sehr viele Modelle aufgelistet sind, würde er mich glücklich machen. Ein bisschen.
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Sonst?
Ach, ja. Nach meinem Abendspaziergang kehrte ich bei meinem Stammecktürken ein, um ein oder zwei Bier zu erwerben. (Das klingt jetzt falsch, also das mit dem Stamm - de facto ist er der EINZIGE hier in meinem Viertel, der fussläufig erreichbar ist. Ja solche Ecken gibt es in Berlin auch. Ziemlich zentral sogar.)
Es gibt so Tage, an denen ich teilautistisch jeden Menschenkontakt meide und erst nach Einbruch der Dunkelheit das Haus verlasse. Aber dieser kleine, alte Türke in seinem Eckladen, der immer winkt, wenn ich vorbeigehe und im Sommer immer vor die Tür kommt, so es geht - nur um meine Hand zu ergreifen und zu fragen:
Hm, geht gut?, der mir immer etwas schenken wollte, wenn ich etwas kaufte, Kaugummis, Schokolade, Süßkram, der nur lächelte, als ich mich endlich traute, ihm zu sagen, dass ich das ganz furchtbar nett fände, aber
weder noch äße und seitdem trotz Protest als Ausgleich immer nach unten abrundet und niemals Trinkgeld nimmt, dieser kleine, gebückte Mann, dessen Laden um Punkt 10 schließt und in dem man von allen Oberflächen und dem Fussboden essen oder Wein lecken könnte, der bringt mich an solchen Tagen fast um, mit seiner unbeirrbaren Freundlichkeit und Wärme. Und was wird er mir fehlen, wenn ich hier wegziehe.
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Sonst?
Konnte ich mich heute kaum bis gar nicht aufraffen, das zu tun, was vorgenommen war. Im Lesesessel arbeiten kann ich nicht, der wunderschöne, alte Bürostuhl, der es nicht mehr sehr lange machen wird, hat mein ISG nach jeweils einer Stunde sitzen so vehement traktiert, dass ich permanent aufstehen musste und mich dann plötzlich ganz woanders wiederfand. Ein Traum ist das von zu Hause arbeiten ja immer noch, jedoch ein unerreichbarer fast, wie mir scheint.
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Wurde ich wieder mal durch mehrere Dinge an eine Zeit vor
Jahren erinnert, solange ist das noch nicht her, aber gefühlt sind es mehrere Dezennien. Und dann hab ich mal gestöbert und diesen Blogeintrag vorgekramt, der datiert ist:
Doloris | 2005-11-24 02:14 Rubrik: [Zwischenleben], und dann geschrieben und gedacht: Egal wie beschissen dieser Tag dir emotional war, es geht weiter, immer weiter, und ja verdammtnocheins, das ist gut so. Aber auch: Ohne diese Teile wird mich kein Mensch je verstehen. Und von diesen Teilen gibt es viele.
Und ja, Sie können jetzt hier aufhören, jetzt kommt der alte Teil, niedergeschrieben vor langer Zeit von einem anderen Stern.
Betitelt war es:
Grenzgänge 1. Fragment, unkorrigiert
Paul genannt Paulchen, bei dem mein Gefühl immer zwischem Zugneigung gepaart mit Mtgefühl und absolutem Genervtsein
schwankte. Der ein Paradebeispiel für einen mittelschweren, bis schweren "Morbus Korsakow" ist, ugs.: Hirn weggesoffen.
Kurzzeitgedächtnis, Teile vom Mittel- und Langzeitgedächtnis auch.
Was einem im ersten Moment und auch lange danach "drollig"
erschien: Alles vergessen, alles verlegen, ständig nur von der weit zurückliegenden Vergangenheit erzählen, ging im Zusammenleben an die eigne, wacklige Substanz; trotzdem konnte ich mich seinem Wesen schlecht entziehen.
Paul, der ständig Dinge vermisste die er
verlegt; dessen Zimmer ich unzählige Male komplett nach einem verlorenen Dingens absuchte, damit er endlich aufhört zu jammern,
"ihm wäre schon wieder etwas geklaut worden".
Paul, der jeden Mann
"Ernst" oder
"Peter" oder
"Ernst-Peter" nannte, den wirklichen Ernst jedoch
"Erich", die Frauen alle
"Liebes" (in Anwesenheit derselben) oder
"meine Geliebte" (gegenüber Dritten) und der vollends verwirrt war, als dann tatsächlich auch noch ein Peter kam, den er konsequenterweise
"Hans" nannte.
Paulchen, der uns zwei Wochen lang jede Nacht mit Julio Iglesias auf Höchstlautstärke quälte, bei Beschwerden immer jammerte, er wär doch fast taub und die Lautstärke hätte er
"Ehrenwort!" nur auf 2 gestellt und überhaupt hätte er Kopfhörer angehabt. Weder war er fast taub, noch hat er jemals die Eingangsbuchse für die Kopfhörer gefunden.
Irgendwann erbarmte sich jemand und klaute ihm das Stromkabel.
Paul, der alle Neuankömmlinge fragte, ob sie seinem Schuh begegnet wären - dem, den er wieder einmal irgendwo stehengelassen; auf das obligatorische Nein fing er dann an zu klagen,
"wer denn einen armen, alten Mann bestehle", und überhaupt:
"Was denn jemand mit einem einzigen Schuh anfinge?!"
Paul, der mir wohl an die 30 Mal die spärlichen photographischen Erinnerungen zeigte, die er ständig mit sich herumtrug, jedesmal mit im Wortlaut ähnlichen Erläuterungen. Nach dem zweiten Mal wusste ich, welche Art Fragen ich stellen musste, dass er sich dabei an schöne
Dinge erinnerte, und so fragte ich ihn denn auch oft - wenn es ihm schlecht ging - von mir aus nach den Photos.
Paul, der unglaublich einschnappen konnte, wenn etwas nicht nach seinem Kopf ging. Der immer um 4 Uhr morgens aufwachte und gewohnheitsmäßig das Radio anstellte, worauf dann sein unglaublich langmütiger Zimmernachbar "Mosi" ebenfalls wach war und manchmal auch die halbe Station.
Paulchen, der in meiner letzten Woche auf die "Rennbahn"* verlegt wurde, weil er zu verwirrt war, um zu wissen, dass man im Bett schläft und nicht auf dem Fussboden der Herrentoilette. Und weil man ihn keine Sekunde aus den Augen lassen konnte, weil er dann unter Garantie naschte - sein Blutzucker war meistens jenseits von gut und böse und der Verwirrtheitsgrad stieg proportional.
Der nur einmal in zwei Monaten Besuch bekam von einer früheren
"Geliebten".
Dessen Kinder ihn nicht mehr kennen wollen, weil er ihr Leben versäumt hatte um zu saufen.
Der sich Pflanzen von anderen Stationen und Häusern
zusammenstahl und in seinem Badezimmer ein Feuchtbiotop anlegte.
Der einem ständig von dem Wenigen das er hatte, etwas schenken wollte - die schwarze Zigarettenspitze werde ich hüten, Paul.
Als Bild: Mit nachlässig hochgezogener Hose, die einen Gutteil des Hinterns sehen ließ; also der Unterhose,
so er denn eine trug, mit unterschiedlich farbigen Socken und zwei unterschiedlichen Schuhen, eine Baseballkappe oder meine gestrickte Mütze auf dem Kopf, eine Blume hinter dem einen und eine Zigarette hinter dem anderen Ohr, die zumeist kalte Pfeife im Mund und immer mit mindestens 3 Tüten oder Beuteln in der Hand und einem verschmitzten Ausdruck um die Augen.
Paul, der in seinem klarsten Moment an meiner Schulter untröstlich weinte; bei dem ich nicht wusste und immer noch nicht weiß, ob ich ihm Klarheit wünschen soll.
Volker, der sich Neuankömmlingen immer als
"Helmut, 28, 4 Mal geschieden" vorstellte; in unregelmäßigen Jahresabständen
"auf Urlaub" (zur Entgiftung) da war - immer hoffend, es einmal entgültig vom Alkohol zu schaffen.
Volker, der auf meinen Stossseufzer:
"Nur Irre hier" immer ergänzte:
"Und Schwule!", worauf wir gemeinsam vollendeten:
"Und irre Schwule!", wobei er sympathischwerweise keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern machte.
Volker, der alle Tricks kannte, nach 17.00 Uhr noch heimlich Kaffee zu kochen, was zu beinahe rauschhaften Entgleisungen im Raucherraum führte.
Mit dem ich Nächte - auf Kaffee - durchquatschte, weil nichts schlimmer gewesen wäre für mich, als zu schlafen und träumen. Der mich alle Kniffe lehrte, wie man es als "Normaler" in der Psychatrie schafft, nicht ver-rückt(er) zu werden.
Volker, der es selbst in meinen (und manchmal auch in seinen) dunkelsten Stunden schaffte, mich zum Lachen zu bringen.
Der mich auf der Intensivstation anrief und sacht fragte, wie es mir denn ginge? Nach meiner Versicherung wohl noch zu leben aber einen Schwall losließ,
"wie schwul, feige, dämlich und überhaupt ich denn sei?!", was mindestens so heilsam war wie das zwischen rüde und brutal angesiedelte Verhalten der Schwestern dort.
Volker, der mich nach meiner "Rückführung" auf den Berg als Erster begrüßte, in dem er mich fest in den Arm nahm und weinte, mir dann ins Gesicht schlug und mir in empütterten Ton mitteilte, dass ich
"blöde, unzuverlässige Schwuchtel" schließlich noch gebraucht würde -
"immerhin hätte ich die Kaffekasse!!!"
Volker, dessen rauhe, authentische Herzlichkeit ich sehr vermisst habe nach seiner Entlassung und dem ich nichts mehr wünschen kann, als "es zu schaffen" - also mit diesem Leben fertig zu werden.
* "Die Rennbahn" - patientensprachlich für die geschlossene Station P1: So genannt, da die Patienten - nicht frei und u. U. nicht fähig/willens hinauszugehen - ihre Tage zumeist damit zubringen, den langen Flur auf- und abzulaufen.
[Und die Erinnerung an das letzte Mal erzählen, betrunken, anders geht es manchmal nicht, vom schlimmsten Erlebnis seines Lebens. Und das Schweigen des Gegenübers, kein Wort, kein-still-in-den-Arm-nehmen, keine Träne. Ja, da hätte ich es schon merken können, dass deine Eiseskälte sich auch auf mich bezog. Ich lerne.]
+
1.407.156 Bücher
451.475 anderes wie Filme und Musik. Aktuell, der Zähler läuft. Ich hab doch heute keine Zeit dafür, aber danke.
Gerade via Elektrobrief vom letzten
almost-Lover darauf aufmerksam gemacht worden, dass es eine famose
Tauschbörse für ungeliebten Kram gibt.
Ach Gott, endlich muss ich nicht mehr wie weiland beim letzten Umzug aus der grässlichen Stadt, kartonweise meine Bücher an soziale Einrichtungen verschenken, mich beschämt fragend, was die bedürftigen Menschen mit den
gesammelten Reden Ernst Reuters in vier dicken Bänden, anfingen, die ich mal vor einem Altpapier-Container fand in tadellosem Zustand.
Oder all die
einmal, nie wieder-Bücher, Leseexemplare zumeist, die meine Buchhandelsschwester in meine Richtung transferiert, auf dass ich mein wohlfeiles Urteil spräche. Oder der Unterhaltungsquatsch, den ich ab und an haben muss, weil ich morgens im Zug nicht immer Camus und Konsorten verkrafte. Fast-food-Bücher, die nur rumstehen und Platz klauen.
Ich kann keine Bücher wegwerfen, ich hab's versucht. Aber tauschen, das kann ich - unter diesen fast
anderthalb Millionen, Teils antiquarischen Büchern werde ich Schätze bergen, die den gewonnenen Platz in den Regalen aufwerten, leuchtender machen.
Schönschön, jetzt brauche ich nur noch Zeit, ca. 100 Bücher (für's erste) abzulichten und einzustellen dort.
Denn vor dem
nehmen, kommt das
geben, so soll das ja auch sein.
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Zwischen Hurt, Hold on und Into each life some rain must fall ist es ganz schön anstrengend. Aber ich gebe mir Mühe. Zur Abwechslung mal mit mir. Auch erst auf die Nase gebunden bekommen müssen, wie empathisch man mit den Seelchen anderer ist und wie unbarmherzig mit sich selber.
Das gibt Stoff für etliche Stunden Reflektion. Mal vom Selbstmitleid abgesehen, dass einen ja mal überfällt, gestehe ich mir selbst vieles nicht zu, was ich bei anderen problemlos vereinen und verzeihen kann. Und das, obwohl ich mich meilenweit entfernt von (Selbst-)Kontrolle oder aber Perfektionsanspruch wähne. (Wie will man das Gewusel auch kontrollieren?)
Es ist ein Kampf, immer noch, nach so vielen Jahren. Gegen das Gefühl So-sein-zu-müssen um geliebt zu werden. Nein falsch - bemerkt. Und respektiert.
Was hielt mich neben Menschen, die sich nicht für mich interessierten, wo ich um Aufmerksamkeit (Liebe) gebettelt habe wie ein kleiner Hund*, was neben Menschen, neben denen ich meinte sterben können ohne Notiz, weil sie viel, viel zu beschäftigt waren mit ihrem Sein, ihrem Leiden und die nur um sich selbst kreisten? Ja, die Erfahrung. Man wiederholt, was man kennt.
Ich bin es leid, mich auch, manchmal.
Es gibt Zeiten, da scharren sich diese Erkenntnisse zutraulich um mich und gewähren kleine Wahrheiten und endlich Wahrhaftigkeit mit sich selbst. Aber diese Zeiten sind gefühlt schwer erkämpft und abgerungen.
Und ja, vieles ist durchgetropft und hat sich verfestigt. Ich umgebe mich nach Möglichkeit nicht mehr mit Egozentrikern, weil mir diese wesensfremd sind, die Schnittpunkte emotionaler Art viel zu dürftig; ich bin ein Menschenmensch. Ich brauche echte Menschen um mich rum, manchmal - nicht immer, und dann will ich, dass sie frei und offen und so ehrlich wie nur möglich sind. Und ich will zuhören und mich mitnehmen lassen auf die Reise in jemanden.
Und auftauchen daraus und jemanden als das erkennen, was er ist, ohne Scham oder Angst - wenn er mich lässt.
Das sind Glücksgefühle, wie das äußerst seltene, herbeigesehnte Gefühl des Fließens, im Fluss sein, sich endlich mal nicht als Außerirdischer in dieser Welt fühlen, nicht als Ver-rückter, sondern als Mensch im Hier da sein und akzeptieren, was alles noch um einen ist, liebevoll, gelassen und geschehen-lassend.
Zum Fließen gehört das Ruhig-sein, Nichtwollen, Aufnehmen - das verhält sich deutlich ähnlich wie beim Golf oder von mir aus auch Billard; je mehr man es will, desto weniger geschieht es. Erst wenn man lockerlässt, alles Wollen vergisst im Kopf und im Körper kann etwas fließen. (Nein, Sie befinden sich hier nicht in einem Esoterik-Blog). Und wenn - wenn man mal diesen seltenen Zustand erreicht hat, sich eins mit sich und der Welt und den Menschen, die einen umgeben zu fühlen, dann - erst dann weiß man auch, wie bekloppt das Hinterherrennen nach Umwichtigem ist, das Ärgern über Belangloses - das sich selbst durch Inneres die Welt vergällen. Das ist kurz, aber ich habe meine kleinen Einblicke gehabt und spüre, fühle dem immer noch nach.
(Ich will leider noch zu oft so sein, wie ihr mich wollt, aber ich will nicht mehr wollen. Nicht so.)
Ich formuliere gerade an einem Elektrobrief und stelle erleichtert fest, dass ich grad nichts sein will. Nur ich.
+
Gerade so gedacht: Das wird doch hier auch wieder nur ein besseres
Befindlichkeitsblog, wie es das letzte war.
"Hier stehe ich, ich kann nicht anders."
Wer stört sich daran? Im Zweifel finden es zufällig lesende Menschen schlicht uninteressant. (Oder die
Bocksprünge überfordern selbst zugeneigte Menschen, aber das ist ja auch ein bekanntes Thema.)
Befindlichkeiten: Hier läuft gerade Anna Ternheims grossartiges Cover :
Shoreline
ever since I was eight or nine
I've been standing on the shoreline
always waiting
for something lasting
loose your hunger, you loose your way
get confused and you fade away
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Liebe statt Drogen wäre das Motto heute Abend gewesen, aber dort
bin war ich nicht.
Ich laufe unrund und je mehr ich den Finger versuche auf die Unwucht zu legen, desto mehr entgleitet mir das.
Grad ist nichts mehr so richtig schwarz-weiß mit abertausenden Graunuancen, sondern bunt, grell bunt mischen sich die Empfindungen. Und sie wechseln schnell, zu schnell. Ich kenne mich als leidenschaftlichen Menschen, mit extremen inneren Ausschlägen nach oben und unten, der gelernt hat, authentisch zu sein, aber pflegeleicht -
im Mittel also nach außen freundlich, leicht verrückt und nur leicht extrem.
Ich kenne das Gefühl "Hass" nicht , nebst einigen anderen (Erbe einer schaurigen Kindheit, aber das ist eine ganz andere Geschichte), ich habe mir selbst in
unendlich langer Zeit einen Weg - einen Graben durch Sperrgebiet - zu meinen Gefühlen geschaffen. Ich habe mein Innerstes nach außen gestülpt, dann alles zerfetzt und mich wieder zusammengesetzt; ich habe mir im wahrsten Sinne des Wortes das eigene Fell über die Ohren gezogen, aus Leidensdruck und auch - ja, aus Menschenliebe. Ich wollte den mir wichtigen Menschen nicht mehr als das begegnen, was andere aus mir gemacht hatten: beschnitten, verkrüppelt, dauerverfolgt von Dämonen und Ängsten und diffusem Zeug, das keinen Namen kennt.
Ich kenne mich, auch wenn das nicht immer leicht ist.
Und jetzt stelle ich mich ganz leicht nur neben mich und schaue so ein wenig und (er-)kenne vieles nicht.
Stimmungsschwankungen, die ich nur von prä-/post- oder dauermenstruierenden Damen kenne, nein, keine
Unlust, kein
Schlechtgelauntsein;
schwankend bemüht taumele ich zwischen
strahlend-sonnig, heiter: begeistert, beglückt, innerlich tanzend, still vergnügt und leidenschaftlich träumend, berstend vor Liebe und Zuneigung bis
Sturm-zieht-auf oder peitscht über das Land: Verlorenheitsgefühle, ein Zerren und Reißen unbekannter Genese, ein unbändiges Sehnen, eine Trauer, die mich unvermittelt überfällt und die ich nicht verorten kann, eine große
Unruhe, quasi in nichts begründet.
Und doch ja, das alles kenne ich - aber nicht in diesem rasend schnellen Wechsel, als lebten mein Seelchen und mein Herz sich gerade aus, probten Bocksprünge und Salto rückwärts und das immer nur schnell, schnell. Als könnten sie etwas verpassen, von den großen Gefühlen, den Spitzen, den Tiefen. Oder als hätten sie etwas verpasst und holten das nach.
Und nach einer freundlichen Kompassnadel in Form eines längeren Gespräches mit einem lieben Menschen, der unvermittelt anruft, wird es klarer:
Ja, warum nicht? Vielleicht habe ich ein bisschen zu lange auf Sparflamme gelebt und gefühlt, vielleicht ist das jetzt ein
inneres Austoben, ein Bocksprünge machen und vielleicht sollte ich auch mir selbst gegenüber gelassener werden.
Mehr verzeihen, was man ohne Bedenken bei anderen Menschen tut, weil man um Seelchen, Nöte und Geschichte weiß und liebt. "Das muss jetzt vielleicht
geradeso. Aushalten.", spricht der liebe Mensch und hat - in der Schlichtheit wahrscheinlich Recht.
Sich wohlwollend gegenüberstehen, auch wenn man sich selbst grad anstrengt.
Und Mühes Lebensregel nicht aus den Augen verlieren, die man - still - zum Credo gemacht hat:
An allen Früchten unbedenklich lecken;
vor Gott und Teufel nie die Waffen strecken;
Künftiges mißachten, Früheres nicht bereuen;
den Augenblick nicht deuten und nicht scheuen;
dem Leben zuschaun; andrer Glück nicht neiden;
stets Spielkind sein, neugierig noch im Leiden;
am eigenen Schicksal unbeteiligt sein –
das heißt genießen und geheiligt sein.
+
Selbsterinnerung: Positiv denken.
Nicht kirre machen lassen. Einatmen - ausatmen.
There is a crack, a crack in everything
That's how the light gets in.
[Leonhard Cohen: Anthem]
+
Sonnenschein, Wasser, Möwen, ein feiner, frischer Kaffee, ein Käsebrot und eine schöne Aussicht: Erster Vorhang meines neuen Dramoletts:
"Mes pauses-repas sont plus belles que vos jours."
Und über Käsebrot und Kaffee gelugt, ahnt man auch, wie schön das erst wieder im Frühling-Sommer-Herbst werden wird.
Meine Mutter bärmelte jetzt:
Mausi Kind, nicht auf die kalten Steine setzen!, ich aber sage:
Pah! Lieber ein heißes Herz und ein eisekalter Stein, als umgekehrt!
+
Ganz kurz festgehalten:
Die kleine, zarte Frau, die mich schonmal verzaubert hat, spielt wieder in Berlin.
Jesy Fortino, alias
Tiny Vipers.
Wer minimalistischen Folk und langsame Zärtlichkeit (wahlweise auch andersherum) mag, sollte sich morgen Abend in die
Sophiensäle nach Mitte begeben.
Lieblingsband Joy Division, Lieblingsautor Murakami, erzählt sie
hier . Immerhin 1 von 2.
doloris am 9. März 2010, 09:48
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Entschuldigung. Wirklich. Nicht persönlich gemeint.
Im Kommentar.
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Notes to myself:
Die
Mühe-Austellung endet ganz bald.
In der alten Nationalgalerie werden die kompletten
Amalfi-Skizzen von Blechen ausgestellt.
George Grosz. Korrekt und anarchisch gibt's noch ne Weile in der Akademie der Künste.
Das Bauhaus zeigt zeitgenössisches, japanisches Produktdesign:
Katachi - Die leise Form aus Japan.
Der großartige Jeff Bridges spielt einen abgehalfterten Typen und singt!
Crazy heart läuft schon, also sputen.
Am Dienstag macht
Stephan Serin ebenfalls
Liebe statt Drogen im
Wohnzimmer Schokoladen Mitte.
Der Spiegel, dem man in der Hinsicht nicht zuviel zutrauen darf, zerrupft
David Sanborns Auftritt in Hamburg fein in der Luft. Aber man muss ja mal nüchtern feststellen: Für 65 ist der Typ einfach zu
schnuckelig gutaussehend, um wahr zu sein. Passt zu seinem belanglosen, aalglatten Geblase.
Heavy note: Endlich mal rüber in's
Museum Fluxus gehen nach der Arbeit! Gibt's jetzt schon ne Weile, Hergottsakrament!
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Gerade beim entspannten Abwaschen und Musiklauschen gedacht:
Manche mögen mich ja für wunderlich halten, dass ich von Liedern, die ich liebe, so ziemlich jede Version versuche zu finden und somit auch mal die vermutlich größte Sammlung von "Somewhere over the rainbow"-Versionen diesseits von Oz hatte (vor zwei Festplattentoden leider) - aber ich, ich weiß warum.
Allerdings gibt es auch Lieder, die es in zig und zig Versionen gibt, die alle leise zurücktreten, wenn die
eine erklingt.
Wie ihm genau bei der Stelle:
But for now, love, let's be real;
I never thought I could act this way
And I've got to say that I just don't get it.
I don't know where we went wrong,
But the feeling's gone
And I just can't get it back.
die Stimme (fast) wegbricht, das ist so drauf, das braucht keiner mehr versuchen.
Allerdings hat der große Mann einige Cover geliefert, die kaum zu erreichen sind:
Bridge over troubled waters habe ich auch nie schöner und eindringlicher gehört, als in der Version mit Fiona Apple.
[Johnny Cash:
If you could read my mind - American V: A Hundred Highways]
doloris am 7. März 2010, 17:39
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Passion
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